Desiree Ellen Heintz, Dissertation, Fachbereich Physik der Universität Hamburg, 2012 :

"Lokalisierte strahleninduzierte Änderungen in organischen und metallorganischen Substanzen und ihr Einfluss auf globale Strahlenschäden"


"Site Specific X-ray Induced Changes In Organic And Metal Organic Compounds And Their Influence On Global Radiation Damage "



Schlagwörter: X-ray radiation damage, X-ray induced photoreduction, X-ray induced hydrogen abstraction
PACS : 82.50.Kx

Summary

Kurzfassung

Synchrotronquellen der dritten Generation zeichnen sich durch ihre hohen Photonenflüsse aus. Mithilfe hochentwickelter Röntgenoptiken können diese hohen Flüsse auf sehr kleine Foki (<μm) konzentriert werden. Dadurch können in kürzester Zeit große Datenmengen gesammelt werden. Unglücklicherweise werden durch diese hohen Photonendichten die untersuchten Proben stark geschädigt. Diese röntgeninduzierten Schäden machen sich besonders im Falle biologischer Materialien bemerkbar. Oftmals führen sie zu grundlegenden Änderungen innerhalb der Molekülstruktur, was zu Fehlinterpretationen von biologischen Vorgängen führen kann.

Generell wird zwischen zwei Sorten von Strahlenschäden unterschieden: Zum einen globale Schäden, die nicht-lokalisierte Veränderungen der Probeneingeschaften zur Folge haben und bis hin zum vollständigen Zerfall der Probe führen können. Zum anderen werden auch spezifische Strahlenschäden beobachtet. Diese führen zu lokalisierten Veränderungen innerhalb der Probe. Beispiele sind hier röntgeninduzierte Photoreduktion von metallorganischen Komplexen, Spaltung von Disulfidbrücken sowie Decarboxylierung.

Die zugrundeliegenden Mechanismen röntgeninduzierter Strahlenschäden sind bis heute ein wichtiger Bestandteil der Forschung mit Photonen. Trotzdem konnte bis dato kein schlüssiges Modell zur Beschreibung aller auftretenden Effekte aufgestellt werden. Zur Verringerung von rönteninduzierten Schäden werden die meisten Proben heutzutage standardmässig bei einer Temperatur von 100 K gemessen. Um röntgeninduzierte Effekte noch weiter zu verringern, ist allerdings ein tieferes Verständnis aller involvierten Prozesse dringend erforderlich.

Es war das Ziel dieser Doktorarbeit, die Effekte spezifischer und globaler röntgeninduzierter Strahlenschäden an biologischen Materialien systematisch zu untersuchen und auf Basis dieser Untersuchungen ein schlüssiges Modell zur Beschreibung der zugrundeliegenden Mechanismen vorzustellen. Im Laufe dieser Arbeit konnten zwei Modelle vorgeschlagen werden, mit denen zum einen die Mechanismen der röntgeninduzierten Photoreduktion und zum anderen die globaler Strahlenschäden beschrieben werden können. Die Ergebnisse dieser Arbeit können somit als wichtiger Schritt in diesem Bereich angesehen werden.

Mithilfe von Röntgenabsorptionsspektroskopie und Einkristall- Röntgendiffraktion konnte der Einfluss der Faktoren chemische Zusammensetzung, Temperatur und Lösungsmittel auf röntgeninduzierte Photoreduktion bestimmt werden. Hierfür wurden sechs Modellsysteme untersucht: zwei B12 Cofaktoren, Cyano- und Methylcobalamin, sowie zwei Eisen(III)- und zwei Eisen(II)-Komplexe.

Die Messungen zeigten, dass röntgeninduzierte Photoreduktion ein ligandenabhängiger Prozess ist und über eine Redoxreaktion innerhalb des Moleküls abläuft. Selektive Wasserstoffabstraktion scheint hierbei eine wichtige Rolle zu spielen.

Auf Basis dieser Ergebnisse wurde ein Modell zur Beschreibung der Reaktionsmechanismen aufgestellt. In diesem Modell wird ein niedrigenergetisches Elektron vom Metallzentrum eingefangen, was zu einem kurzlebigen, angeregten Zustand und einem reduzierten Metallzentrum führt. Im Anschluss an den Einfangprozess kann ein zweiter Reaktionsprozess stattfinden. In diesem verlässt das Elektron entweder das Metallzentrum und hinterlässt die Probe im Grundzustand, wenn keine Oxidation im Liganden stattfindet, oder aber es verbleibt im Metallzentrum, falls eine Oxidation im Liganden abläuft. Nur im zweiten Fall kann eine permanente Photoreduktion beobachtet werden. Abstraktion von Wasserstoff vom Liganden oder Decarboxylierung eines Liganden sind hierbei mögliche Oxidationen. Unsere Messungen zeigten, dass im Falle einer Wasserstoffabstraktion als Oxidationsprozess die Photoreduktion temperaturabhängig ist. Wie bereits erwähnt, scheint selektive Wasserstoffabstraktion eine wichtige Rolle im Prozess röntgeninduzierter Strahlenschäden zu spielen. Mithilfe eines kombinierten Röntgen- und Neutronendiffraktionsexperiment an Einkristallen sollte diese These genauer untersucht werden. Hierbei wurden die Aminosäuren L-Serin und L-Alanin, als Bausteine von Proteinen, sowie das Nukleosid Deoxythymidin, als Baustein der DNA, ausgewählt. Unsere Experimente konnten zeigen, dass selektive Wasserstoffabstraktion bevorzugt an primären Hydroxylgruppen stattfindet und zur Bildung von Wasserstoffgas führt. Dieses Gas spielt im globalen Schadensprozess eine wichtige Rolle.

Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte zudem der Schadensmechanismus von L-Serin aufgedeckt werden: Hier werden ein Wasserstoffatom der primären Hydroxylgruppe und ein Wasserstoffatom der benachbarten Methylengruppe durch die Röntgenstrahlung selektiv abgespalten, was zur Bildung einer Carbonylgruppe führt.

Röntgendiffraktionsmessungen von Cyano- und Methylcobalamin, sowie drei Metallaminosäurekomplexen mit Ni(II) bzw. Cu(II) als Metallzentren konnten den Beitrag röntgeninduzierter Photoreduktion zum globalen Schadensprozess aufzeigen. Auf Basis sämtlicher Diffraktionsmessungen wurde ein Modell zur Beschreibung globaler Strahlenschäden in Kristallen vorgestellt.

In diesem Modell werden globale Schäden hauptsächlich durch selektive und nicht-selektive Wasserstoffabstraktion verursacht. Im Zuge dieser Abstraktion entsteht Wasserstoffgas innerhalb der Probe, welches zu einer Spannung des Kristallgitters führt. Kristalle sind anisotrope Gebilde und besitzen entsprechend einen Elastiztätstensor. Abhängig von der Kristallsymmetrie führt dieser zu unterschiedlichem Ausdehnungs- und Kontraktionsverhalten der Zellachsen als Funktion der Dosis. Diese Veränderung der Zellachsen führt im Allgemeinen zu einer Vergrößerung des Zellvolumens. Mit steigender Dosis wird immer mehr Wasserstoffgas innerhalb der Probe generiert und entsprechend mehr Spannung wird auf das Kristallgitters ausgeübt. Ab einem bestimmten Punkt übersteigt diese Spannung die Zugfestigkeit des Kristalls. Dies führt zu Störungen im Kristallgitter, die sich durch ein Anwachsen der Kristallmosaizität bemerkbar machen.

Titel

Kurzfassung

Summary

State-of-the art 3rd generation synchrotron sources provide high photon flux densities. With advanced X-ray optics it has become possible to focus a large amount of photons into spots of less than a micron in size. This offers the possibility to obtain large amounts of high resolution data in a short amount of time. On the other hand, such high doses cause severe radiation damage, especially in case of biological materials, such as proteins. Radiation damage is known to alter the structure of the sample and can therefore lead to misinterpretations of the underlying biological principles.

X-ray radiation damage is generally categorised into global and specific damage. Global damage leads to an overall degradation of the sample. Specific damage occurs at specific sites of the sample. X-ray induced photoreduction, cleavage of disulfide bridges and decarboxylation are examples for specific radiation damage.

Radiation damage has been investigated extensively. However, no conclusive model covering all different aspects could be found so far. Cryocooling to liquid nitrogen temperatures is routinely applied in order to reduce the effects of radiation damage. Understanding of the underlying mechanisms is essential to develop methods to further reduce X-ray radiation damage.

The aim of this work was to systematically investigate the effects of specific and global X-ray radiation damage to biological samples and obtain a conclusive model to describe the underlying principles.

Based on the systematic studies performed in this work, it was possible to propose two conclusive mechanisms to describe X-ray induced photoreduction and global radiation damage. The findings of this work can therefore be seen as an important step in improving X-ray data collection.

The influence of chemical composition, temperature and solvent on X-ray induced photoreduction was investigated by X-ray Absorption Near Edge Spectroscopy and single crystal X-ray diffraction of two B12 cofactors - cyano- and methylcobalamin - as well as iron(II) and iron(III) complexes. The obtained results revealed that X-ray induced photoreduction is a ligand dependent process, with a redox reaction taking place within the complex. It could further be shown that selective hydrogen abstraction plays an important role in the process of X-ray induced photoreduction.

Based on the experimental results of this work, a model to describe X-ray induced photoreduction of metal organic complexes could be proposed: As initial step, a low energy electron generated upon X-ray irradiation of the sample, interacts with the metal centre. This leads to a short-lived excited state with a temporary reduced metal centre. In the second step, two possible reactions can take place. If the ligand cannot be oxidised, the metal centre reacts back into its initial, oxidised state and the low energy electron is released. If an oxidation reaction takes place within the ligand, the metal centre is permanently reduced. Hydrogen abstraction from or decarboxylation of the ligand are two possible oxidation reactions. In case of a hydrogen abstraction as oxidation reaction, the photoreduction process is temperature dependent.

The process of X-ray induced hydrogen abstraction was further investigated in a combined X-ray and neutron diffraction study on the amino acids L-serine and L-alanine, which were used as model compounds for proteins, and the nucleoside deoxythymidine (thymidine) as a model for DNA. Hydrogen abstraction preferentially takes place at primary hydroxyl groups, leading to the formation of hydrogen gas. This process is also a main contributor to global radiation damage. A damage mechanism for L-serine could be found. It involves the abstraction of two hydrogen atoms, one from the hydroxyl group and one from the adjacent methylene group. Such a hydrogen abstraction results in the formation of a carbonyl group.

X-ray diffraction measurements on cyano- and methylcobalamin as well as on three metal amino acid complexes, containing nickel(II) and copper(II), respectively, were conducted to investigate the contribution of X-ray induced photoreduction to global radiation damage. Results from these measurements combined with the results from L-serine, L-alanine and thymidine allowed to propose a model to describe global radiation damage.

It is proposed that global radiation damage is mainly caused by hydrogen abstraction. The hydrogen gas formed in the sample exerts stress on the crystal lattice. Since crystals are anisotropic, their response to stress is also anisotropic. This results in a different expansion or contraction behaviour of the cell axes with dose, which also depends on the crystal symmetry. The changes in the unit cell axes generally cause an expansion of the unit cell. With increasing dose the amount of gas formed in the sample and, thus, the stress within the crystal increases. At a certain dose, the stress exceeds the tensile strength of the crystal. This disrupts the crystal lattice, which is reflected in an increase in mosaicity.